Wahlkampf? – Yeaahh!

Veröffentlicht: 25. September 2009 von ppollux in Allgemeines, Gastautor, Leben und Tod, Veranstaltungen

Viele tausend Menschen sind in diesen Tagen unterwegs, um für ihre Partei zu werben und für sie um Wahlstimmen zu kämpfen.

Es gibt über den Daumen gepeilt 20 Parteien, die bundesweit antreten in den 300 Wahlkreisen. Alleine das macht schon 6.000 engagierte und angespannte Personen, die uns aufgeregt mit Flyern oder Kugelschreibern in den Fußgängerzonen beglücken wollen. Das sind aber nicht die einzigen.

Dazu kommt noch das Fußvolk der Parteien, diejenigen, die nicht selbst antreten, aber für ihre Partei und ihren Kandidaten werben wollen. Jede der großen Parteien, Union und SPD, hat mehr als 500.000 Mitglieder, hinzukommen die etwas kleineren Parteien. Nehmen wir mal 2.500.000 Menschen, die Teil einer politischen Organisation sind, die sich am Bundestagswahlkampf beteiligt (dazu zählen dann z.B. im Wahlkampf aktive Gewerkschaftsmitglieder). Davon dürfte jeder 30.te wirklich selbst aktiv tätig sein. Macht noch einmal ca. 80.000 Menschen.

Alle sind sie dabei, auf ihnen wildfremde Menschen zu zugehen und diese von den Vorteilen der eigenen politischen Positionen zu überzeugen. Das geht nicht immer ganz konfliktfrei ab. Mancher potenzielle Wähler will auch nur einfach mal seinem Unmut Luft machen oder ein wenig rumpoltern.

Die Hoffnungen dabei sind sehr unterschiedlich. Unter Wahlkämpfern grasiert ein ganz besonderes Fieber. Ein Glauben an den Erfolg. Nicht nur der eigenen Partei, sondern auch für einen persönlich. Entsprechend angefixt und einem Sektenanhänger auf der Jagd nach verlorenen Seelen nicht unnähnlich, kommt der gemeine Wahlkämpfer daher. Ich weiß wovon ich spreche, gelegentliche Rückfälle ja, aber im Großen und Ganzen bin ich clean.

Bei den Wählern ist weit weniger Begeisterung und Enthusiasmus zu bemerken. Mal ein paar Typen und Orte, die einem als Wahlkämpfer begegnen können.

W: Wochenmärkte sind ein beliebtes Pflaster, insbesondere für Vertreter etablierter Parteien wie Union und SPD. Aber auch Vertreter der Grünen und der FDP wurden dort gesichtet. Wochenmärkte sind ideal. Ein relativ hohes und konstantes Publikumsaufkommen ist gesichert, die Leute haben Zeit und das Marktumfeld läßt sich gut eingrenzen und mit taktisch geschickt gewählten Standorten markieren.
H: Umsteigestellen im öffentlichen Nahverkehr sind ebenfalls beliebt. Hier trifft man dann auch schon einmal auf den Wahlkämpfer der Linkspartei, der NPD oder gar der MLPD. Zur Rush-hour ist an diesen Haltestellen mit einem hohen Publikumsaufkommen zu rechnen. Allerdings bleibt die Kontaktzeit extrem knapp. Entsprechend ist ein höherer Einsatz von Werbemitteln nötig, neben den unerlässlichen Parteiflyern. Zeit für längere Diskussionen bleibt kaum. Die Rate der sich echauffierenden ist recht hoch. „Euch Pack wähle ich nie wieder“ hört man immer mal wieder.
S+D: Szenekneipen und Diskotheken bieten als nüchterner Wahlkämpfer immer wieder Höhepunkte im Wahlkampf. Je nach Lokalität, von der Edeldisko bis zur Antifakneipe ist hier taktisches Vorgehen gefragt. Insbesondere Besoffene neigen dazu spontan mehrstündige Monologe über die Welt im Allgemeinen zu referieren. Allerdings gibt es hier viele Jungwähler und zeitweise ergeben sich längere Gespräche.

Exkurs: Mein persönlicher Höhepunkt war ein Einsatz im Rahmen der letzten Landtagswahl vor der Frankfurter Batschkapp. Es war die „Nacht der Maschinen“ und ich war für die SPD mit dem Glühweinstand der Jusos unterwegs. Neben mir der Mann in Lederschaftstiefeln, mit Monokel und Uniform, seine Frau im Latexoutfit an einer ziselierten Halskette hinter sich her dirigierend. Aus den Lautsprechern erschall der Soundtrack für den dritten Weltkrieg. Ich habe ihnen trotzdem einen Flyer gegeben. Ja, ich lebe noch und hatte einen amüsanten Abend.

O: Ortstermine sind eine feine Sache. In Schulen, Altenbegegnungsstätten oder auf Verbandstreffen findet man ein homogenes Publikum, auf das man sich einstellen kann, man bekommt von den Organisatoren Platz zugewiesen für einen Werbestand und alles läuft in einem kontrollierten Rahmen. Das weiß leider auch jeder andere. Werbewirkung gering.
F: Fußgängerzonen sind die heißesten Pflaster. Das Profil der Leute ist extrem durchmischt und extreme Auseinandersetzungen können schon einmal vorkommen. Der besoffene Penner findet hier ebenso Aufmerksamkeit wie der nach Hause eilende Sparkassendirektor. Der Schützengraben des Wahlkampfs.
B: Betriebe, sind entweder Ortstermine s.o., dann etwas unergiebig oder Wahlkampfstätte vor den Betriebstoren. Da hauen sich dann insbesondere Linkspartei und SPD einiges um die Ohren. Was sich zu Wahlkampfzeiten manchmal morgens um 6 Uhr vor den Toren zu Mittelständlern ereignet, wäre einer Arbeiteroper würdig. Hier die Arbeiterverräter, dort die Kommunisten. Herrlich. Und es gibt guten Kaffee und manchmal gute Diskussionen.

– Die Hausfrau. Trifft man überwiegend auf Wochenmärkten. Die Hausfrau will, dass mehr für Bildung getan wird und mehr soziale Gerechtigkeit herrscht. Die Hausfrau läßt sich recht leicht ruhigstellen. Ein bunter Werbeflyer, der Hinweis auf den Sympathieträger der jeweiligen Partei und dann ist die Hausfrau und der Wahlkämpfer zufrieden. SPD-Vertreter haben hier einen unfairen Vorteil, da dort häufig rote Rosen verteilt werden.

– Der gutmütige Rentner. Wählt schon seit Jahrzehnten die gleiche Partei, und wird das nicht ändern. Von ihm kann man wunderbare Geschichten über Land und Leute erwarten.

– Der grantelige Rentner. Hat jahrzehntelang eine Partei gewählt. Ist aber jetzt extrem unzufrieden, weil alle nur Scheiße bauen. Wählt jetzt Protest, sagt er. Wählt dann doch wieder die Partei der letzten Jahrzehnte.

– Der extremistische Rentner. Sieht sich selbst als Mischung aus Stalin und Hitler. Andere Meinung zwecklos. Gibt es, kann unangenehm werden.

– Der/Die Alleinstehende. Der oder die Alleinstehende ist eine besondere Herausforderung im Wahlkampf. Man steht dort, um für politische Ziele zu werben und nicht um die emotionalen Defizite von Mitdreizigern zu kompensieren. Wenn man einige Minuten dem entleerten Blick des Alleinstehenden ausgesetzt ist, der signalisiert: „Es ist mir egal, was du sagst, Hauptsache du sprichst mit mir“, dann wird einem unwohl.

– Die Flirter. Auch das gibt es. Wahlkampf kann eine erotische Komponente besitzen. Da tritt mal ein netter Mensch mit einem offen Lächeln auf einen zu, und man kommt ins Flirten und Politik wird nicht unwichtig, aber für einen Augenblick zweitrangig. Sehr lustig und angenehm.

Das ist keine abschließende Aufstellung. Einige andere Typen und Begriffe schwirren mir noch im Kopf herum(etwa Parteifreund,Intellektueller oder Polizei). Aber für den Augenblick war es das.

Alles in allem ist Wahlkampf etwas besonderes. Jeder sollte das einmal mitmachen, um ein wenig mehr zu verstehen, wie Politik funktioniert.

Kommentare
  1. fareus sagt:

    Es ist Wahlkampf, ich so yeaahh.

    Ich glaube das hat sich noch nicht bis zu den Spitzenkandidaten herumgesprochen.

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